Hilfe, mein Pferd braucht mehr Bewegung!

 Im Winter scheinen viele Pferde zu viel Energie zu haben. Die Sommerweiden sind geschlossen und sie bekommen weniger Bewegung  in ihren Ställen oder Winterpaddocks. Wenn wir sie dann auf den Reitplatz bringen, sind manche nur schwer zu kontrollieren.

 

Andere Pferde hingegen schalten auf energiesparenden Wintermodus, entwickeln einen dicken Winterpelz und entfernen sich nur ungern von ihrer Heuraufe.

 

In beiden Fällen stehen wir vor einem Dilemma. Wir würden unser Pferd gerne mehr bewegen,  wissen aber nicht wie. Der eine ist zu energiegeladen um ihn sicher frei laufen zu lassen oder mit ihm zu arbeiten und die andere lässt sich einfach nicht dazu überreden. 

Ideal wäre es, die Haltungsbedingungen so zu gestalten, dass alle Pferde, egal ob Energiebündel oder Energiesparer, ausreichend Bewegung bekommen. Aber leider ist das in vielen Fällen nicht möglich. Also welche Möglichkeiten haben wir?

 

Ein guter Ansatz ist es, sie in einem begrenzten Bereich (mit guter Bodenbeschaffenheit) und in einem geringen Tempo zu arbeiten. Das heißt, im Schritt mit Hilfe von Volten und Matten. Beispielsweise von Matte zu Matte um einen Pylonenzirkel herumzugehen wird das  energiegeladene Pferd ruhiger machen ohne ihn auszubremsen und bringt mehr Fluss in den Energiesparer ohne sie herumzuscheuchen.

 

Die Arbeit im Schritt hat viele Vorteile. Die langsame Bewegung ermöglicht es deinem Pferd die Gelenke zu beugen und das Gleichgewicht zu finden und gibt der Trainerin ausreichend Zeit nachzudenken und auf das Pferd zu reagieren. Bei einem langsameren Tempo kann man leichter an Details arbeiten.

„Verinnerlichen Sie daher bitte: Die klassische Ausbildung beginnt mit der Arbeit im Schritt!"

~ Anja Beran

Aus gymnastischer Sicht ist der Schritt sehr hilfreich. Reitmeister François Baucher sagte:  “Der Schritt ist die Mutter aller Gangarten“. In ihrem Buch „Klassische Reitkunst mit Anja Beran“ schreibt Anja Beran dem Schritt eine überragende Bedeutung zu: „[…] wenn ich nicht in der Lage bin, mein Pferd in dieser Gangart gut zu gymnastizieren, basiert die gesamte Ausbildung auf wackeligem Fundament und Kompromissen. Außerdem kann ich an der Art und Weise, wie sich das Pferd im Schritt bewegt, mühelos die Qualität des Trainings erkennen. […] Der Schritt ist die empfindlichste Gangart. Er ist wesentlich störanfälliger als der Trab oder Galopp. Ich kann hier nichts mithilfe von Geschwindigkeit oder Schwung kaschieren. Dennoch ist es die ideale Gangart um Pferde zu lösen, zu mobilisieren und für höhere Lektionen, wie die Piaffe, vorzubereiten.“    

Die Qualität des Schritts bestimmt die Qualität aller folgenden Gangarten.
Die Qualität des Schritts bestimmt die Qualität aller folgenden Gangarten.

Länger im Schritt zu verweilen ist eine sinnvolle Investition und du wirst den Nutzen wertschätzen, wenn du für die nächsten Trainingsschritte bereit bist.

 

Asfaloth, zum Beispiel, hat keinen guten Arbeitstrab. Ehrlich gesagt, hat er überhaupt keinen Arbeitstrab. Ich kann nur auf entspannte und balanciere Trabtritte hoffen, wenn ich diese gut im Schritt vorbereite. Er kann diesen Trab nicht lange halten, deshalb gehen wir zurück in den Schritt bevor die Qualität des Trabs wieder verloren geht und beginnen die Vorbereitung erneut.


Aber wie kann die Arbeit im Schritt ausreichend Bewegung verschaffen?

Tatsächlich bietet der Schritt eine Vielzahl an Möglichkeiten. Übergänge zwischen Halten und  Schritt oder Übergänge im Schritt und Seitengänge geben dir viele Optionen und Kombinationen mit denen du spielen kannst. Die korrekte Ausführung dieser Übungen entwickelt Muskulatur, verbessert Balance und Koordination.

 

Durch die Seitengänge kommen die Hinterbeine mehr unter den Pferdekörper und tragen mehr Gewicht. Übergänge vom Schritt zum Halten und Rückwärtsrichten beugen die Gelenke und übertragen mehr Gewicht auf die Hinterhand. Wenn du diese Übungen kombinierst, z.B. Schulterherein, Halten, Rückwärtsrichten, dann beugt dein Pferd seine Hinterhandgelenke und sie beginnen mehr zu Gewicht zu tragen, so ähnlich wie Kniebeugen. Das kann schon recht anstrengend sein! Alexandra Kurlands Schüler erkennen die Ähnlichkeit dieser Sequenz mit der Übung Hüfte-Schulter-Schulter („Hip-Shoulder-Shoulder“) aus dem „Click-That-Teaches“ Programm.

 

Vergleiche das mit dem Arbeitstrab auf einem Hufschlag, bei dem das Pferd seine Gelenke nicht beugt sondern streckt, um seinen Körper nach vorne zu schieben. Diese Bewegung ist tatsächlich weniger anstrengend. Das ist auch der Grund weshalb du nach einer „Kniebeuge“ meist einen besonders guten  Übergang in den Trab bekommst, weil das Pferd die Gelenke wie eine Spiralfeder zusammengedrückt hat und sich nun mit einer Streckung nach vorne katapultieren kann. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Den besten Hinweis auf die Gültigkeit dieser Hypothese liefert meine Stute Graya. Sie gehört eher zur Kategorie Energiesparer, steht lieber als sich zu bewegen. Aber sie trabt wesentlich lieber als Übergänge Schritt-Halten oder Rückwärtsrichten zu machen. Meine Vermutung ist die, dass sie es vorzieht ihre Gelenke zu strecken und sich nach vorne zu schieben als sie zu beugen und zu belasten. Die Geschwindigkeit ist nicht ausschlaggebend für das Ausmaß der Aktivität. Kniebeugen sind anstrengender als Rennen.

Wer sich nicht vorstellen kann, was man alles im Schritt machen kann, der kann sich Anregungen von Reitmeister Nuno Oliveira holen.

"Im Schritt oder Trab müssen wir die Energie in der Langsamkeit der Bewegung fühlen können."

 

~ Nuno Oliveira


Was ist falsch daran mein Pferd an der Longe rennen zu lassen um ihm die Möglichkeit zu geben sich auszutoben?

Es ist nichts daran auszusetzen, das Pferd an der Longe zu traben oder zu galoppieren solange dies kontrolliert und in Ruhe passiert. Was wir vermeiden möchten ist ein Verhalten, das für das Pferd schädlich ist und womöglich gefährlich für die Trainerin oder für das Pferd selbst. Ein Pferd, das in hohem Tempo rennt kann seine Sehnen oder Gelenke verletzen, insbesondere wenn er gerade aus der Box kommt und noch nicht aufgewärmt ist. Außerdem lernt das Pferd - und übt und verbessert - ein Verhalten das für seine Gesundheit schädlich und potenziell gefährlich ist. Und wenn er mal gelernt hat an der Longe zu ziehen und sich loszureißen, dann hat man noch ein ganz anderes Problem.

 

Du solltest kein Verhalten üben, das du in Zukunft nicht öfter sehen möchtest.

 

Alexandra hat einen wunderbaren Blogartikel geschrieben, in welchem sie beschreibt, warum das wichtig ist.

Metaphors matter: the myelin metaphor

https://theclickercenterblog.com/2014/12/25/metaphors-matter-what-are-your-metaphors/

 

Es besteht kein Grund für diese Praxis. Du kannst deinem Pferd das Longieren wie jedes andere Verhalten in einem ruhigen und durchdachten Prozess beibringen und es ist ein Verhalten, das es durchaus Wert ist zu trainieren. Aber überleg zweimal bevor du dich dazu entschließt dein Pferd sich an der Longe austoben zu lassen.


Was kannst du stattdessen machen?

Vielleicht denkst du: Ist ja alles schön und gut aber ich wir können noch gar keine Seitengänge um mein Pferd im Schritt zu gymnastizieren. Seitengänge machen viel Spaß wenn man sie mal im Repertoire hat aber man kann bereits mit den sechs Grundlagenübungen aus dem „Click-That-Teaches“ Programms viele sinnvolle und spaßige Übungen machen.

 

Zum Beispiel Targeting: Du hältst das Target vor dein Pferd, sie berührt es mit der Nase, click, du fütterst sie dynamisch nach hinten, so dass sie ein paar Schritte nach hinten gehen muss. Um an das Futter zu gelangen, muss sie ihr Gewicht nach hinten auf die Hinterhand verschieben. Sobald das Targeting und Füttern flüssig ablaufen, kannst du das Target etwas weiter vorne präsentieren, so dass sie ein paar Schritte nach vorne machen muss um es zu berühren, click, du fütterst nach hinten und sie macht ein paar Schritte rückwärts. Anders ausgedrückt, sie hat einen Übergang von Halten zum Schritt gemacht, dann einen Übergang vom Schritt zum Halten gefolgt von Rückwärtsrichten. Das ist nichts anderes als der erste Schritt auf dem langen Weg zur Piaffe.

 

Du kannst ähnliche Abfolgen machen beispielsweise mit der Übung „Die Erwachsenen reden, bitte unterbrich nicht!“ (“Grown-ups are talking please don’t interrupt”) und dynamischem Füttern.

Nicht 100 Übergängen pro Ritt, sondern 1000!
Nicht 100 Übergängen pro Ritt, sondern 1000!

 

Wenn dein Pferd die Arbeit mit der Matte kennt, gute „Mattenmanieren“ hat und von der Matte „magisch“ angezogen wird, dann eröffnet sich eine ganz neue Welt unbegrenzter Möglichkeiten. In der „Rollbahn“ Übung (eine Übung, die das Pferd in die Mattenarbeit einführt), machst du eine Reihe an Gewichtsverschiebungen, die bereits perfekte Übungen sind, um das Gleichgewicht zu verbessern und die Matte im Anschluss hilft mit den Übergängen. in der „Einflugschneise“ zur Matte übst du vorwärts, halten, rückwärts, seitwärts, dann machst du einen Übergang nach vorwärts zur Matte. Die Matte signalisiert einen Übergang zum Halten. Auf der Matte kann man viele verschiedene Übungen machen, um das Stehen auf der Matte zu verstärken. Wenn du dann wieder von der Matte weggehst, hast du einen Übergang vom Halten zum Schritt. Das sind eine Menge Übergänge, die alle einen gymnastischen Wert haben und das Beste daran ist, dass dein Pferd gar nicht bemerkt, dass gerade „gearbeitet“ wird.

Diese feinen Gewichtsverlagerungen sind immens wertvoll. Beim Reiten macht es einen großen Unterschied, ob dein Pferd diese Verschiebungen unter dem Sattel durchführen kann. Auch gut ist, dass man sie auf einem kleinen Raum ausführen kann.

 

Alexandra Kurland beschreibt diesen Ansatz in einem ihrer Blogartikel im Zusammenhang mit Daniel Coyles Buch „Talent Code“. Brasilianische Fußballspieler trainieren oft auf einem winzigen Fußballfeld und erhöhen dadurch den Ballkontakt auf 600%. Das sind bedeutend mehr Möglichkeiten den Ball zu spielen als auf einem großen Feld.

 

Hier kannst du den Artikel lesen (Englisch)

https://theclickercenterblog.com/2014/12/08/futsal-for-horses/

 

Vor ein paar Jahren war unser Reitplatz unbenutzbar durch ungewöhnlich starken Schneefall. So hatte ich nur den kleinen Winterauslauf um mit den Pferden zu spielen. Das habe ich genutzt um Gewichtverschiebungen in Freiarbeit zu trainieren. Das war alles was ich zwei Wochen lang gemacht habe. Nachdem der Schnee wieder geschmolzen war, habe ich diese Übung nicht wiederholt, weil ich andere Dinge mit Graya machen wollte aber Graya erinnert sich sehr gut daran.

Drei Jahre später sind wir in unseren jetzigen Stall umgezogen und Graya hat sich genau diese Übung ausgesucht, als wir das erste Mal auf dem neuen Platz Freiarbeit gemacht haben.

Fazit: Wenn ihr beide bereit seid für Trab und Galopp, dann legt los. Aber wenn du oder dein Pferd noch mehr Zeit im Schritt benötigen, dann solltest du genau das machen. Du wirst von dieser zusätzlichen Zeit profitieren so wie ihr in eurem Training voranschreitet.