Der Inhalt dieses Artikels basiert zu grossen Teilen auf dem Kurs von

 

 

Dr Susan Friedman “Living and Learning with Animals”.

 

und wurde freundlicherweise von ihr genehmigt. 

Um mehr über Angewandte Verhaltensanalyse und über Dr Friedman’s Arbeit zu lernen empfehle ich ihre Webseite www.behaviorworks.org zu besuchen und insbesondere den obengenannten Kurs.

Probleme mit Verhalten lösen

Problemverhalten bei Pferden gibt es nicht. Aber es gibt Menschen, die ein Problem mit einem Verhalten ihres Pferdes haben. 

 

Für das Pferd hat ein bestimmtes Verhalten eine Funktion die ihren Zweck erfüllt, sonst würde es dieses Verhalten nicht wiederholt zeigen. Aber wie kann man ein Verhalten, welches Probleme macht, ändern?

 

Zuerst müssen wir versuchen zu verstehen, weshalb dieses Verhalten wiederholt gezeigt wird.

 

Es gibt verschiedene Modelle, die versuchen Verhalten zu erklären.

"Was tut weh?"

 

Das medizinische Modell sieht das Problemverhalten als Symptom einer Dysfunktion, einer Erkrankung oder eines Traumas an, welches man diagnostiziert, behandelt und heilt. Dieses Modell ist wichtig, es kann jedoch nicht alle Verhalten erklären. Oftmals bleiben Verhalten auch bestehen, obwohl man die zugrundeliegende Erkrankung behandelt hat. 

 

 

"Wozu braucht es die Natur?"

 

Das ethologische Modell versucht Verhalten auf der Basis der genetischen Anpassung und der natürlicher Auslese über Generationen zu erklären.  Mit Ethologie kann man die Tendenzen einer Tierart für bestimmtes Verhalten erklären. Dieses Modell ist das bestbekannte Modell um Verhalten zu erklären und wird am häufigsten als Erklärung angeboten. Aber es erklärt nicht das Verhalten eines individuellen Tieres zu einem bestimmten  Zeitpunkt in einem bestimmten Kontext. Es kann nur Verhaltenstendenzen anbieten.

"Was ist die Funktion?"

 

Das verhaltensanalytische Modell erklärt ein individuelles Verhalten als Ergebnis von vorhergehender Erfahrung, d.h. aus der Wechselwirkungen eines Individuums mit seiner Umwelt im weitesten Sinne. Dieses Modell ist leider am wenigsten bekannt, doch ist es hervorragend geeignet um das Verhalten eines Individuums in einer bestimmten Situation zu erklären. Es untersucht systematisch und nachvollziehbar die funktionalen Zusammenhänge zwischen Verhalten und Umweltereignissen und kann auch eine Vorhersage treffen, ob dieses Verhalten in Zukunft weniger oder häufiger auftauchen wird. 

“Mein Pferd is aggressiv!”

Labels und Konstrukte

Oft werden Konstrukte benutzt um Verhalten zu erklären, dabei erklären diese gar nichts. Konversationen laufen dann wie folgt ab: „ Mein Pferd beißt, weil es aggressiv ist.“ „Weshalb ist es aggressiv?“  „Weil es beißt!“ Wie bitte? Da beißt sich doch die Katze in den Schwanz. 

 

 

Verhalten lassen sich nicht mit solchen Konstrukten erklären. Sie können verwendet werden um ein Verhalten zu beschreiben, aber erst nachdem man das Verhalten spezifisch und objektiv beschrieben hat. 

 

Zum Beispiel: “Mein Pferd ist aggressiv”. Wie sieht aggressiv aus? Was können wir beobachten, wenn das Pferd “aggressiv” ist? Das Pferd legt z.B. die Ohren zurück wenn sich eine Hand seinem Kopf nähert. Dann bewegt es schnell seinen Kopf mit geöffnetem Maul auf die Hand zu. Das sind Verhalten, die man beobachten kann. Nachdem man das Verhalten beschrieben hat, kann man zur Vereinfachung die verschiedenen Verhalten (Ohren anlegen und Kopf mit geöffnetem Maul zur Hand bewegen) zusammenfassen und das Label „aggressiv“ geben. Aber das Label ist nur für dieses Pferd und dieses Verhalten unter diesen Bedingungen gültig. Es muss für andere Situationen und andere Individuen neu beschrieben werden.

 

Das Problem mit Labels ist, dass sie zirkulär argumentieren und nicht verifizierbar sind. Sie geben den falschen Eindruck, ein Verhalten zu erklären, obwohl man dem Verhalten nur einen Namen gegeben hat. Wenn man ein Tier “dominant” oder „aggressiv“ nennt, dann ist man bereits voreingenommen und nicht mehr objektiv oder sucht gar nicht mehr nach Lösungen. Manchmal verleiten Labels auch dazu ineffektive oder schädliche Methoden anzuwenden.



Der Pygmalion Effekt

wer Interesse hat sollte mal nach dem Pygmalion Effekt suchen, z.B. bei Wikipedia

http://de.wikipedia.org/wiki/Pygmalion-Effekt

 

1965 untersuchten die US-amerikanischen Psychologen Robert Rosenthal und Lenore Jacobson in einem Feldexperiment die Lehrer-Schüler-Interaktionen an einer Grundschule. 

In einer US-amerikanischen Grundschule wurde Lehrern vorgetäuscht, dass auf der Basis eines wissenschaftlichen Tests die Leistungspotenziale der Kinder eingeschätzt werden sollten. Durch diesen Test würden, so die Schilderung gegenüber dem Lehrer, die 20 Prozent Schüler einer Schulklasse identifiziert werden, die kurz vor einem Entwicklungsschub ständen. Von diesen „Bloomers“ (Aufblühern) oder „Spurters“ (Sprintern) sei im folgenden Schuljahr mit besonderen Leistungssteigerungen zu rechnen. In Wirklichkeit wurden die 20 Prozent der Schüler jedoch ohne Wissen der Lehrer zufällig per Los ausgewählt.

Durch den Test wurde nicht das Leistungspotenzial der Schüler, sondern deren IQ gemessen. Acht Monate nach dem ersten IQ-Test wurde dieser mit allen Schülern der Grundschule wiederholt. Interessanterweise war die IQ-Steigerung bei den zwanzig Prozent Schüler, deren Leistungssteigerungspotenzial besonders hoch eingestuft wurde (Experimentgruppe), deutlich größer als bei Schülern, denen kein besonders Leistungssteigerungspotenzial identifiziert wurde (Kontrollgruppe). Weil außer der Information der Lehrer über das vermeintliche Leistungssteigerungspotenzial alle anderen Bedingungen konstant gehalten wurden, kann der einzige Grund für die faktische Leistungssteigerung der Schüler in den Erwartungen der Lehrer gegenüber diesen Schülern gelegen haben.

Nach einem Jahr konnte festgestellt werden, dass die Kinder aus der Gruppe der „Aufblüher“ (orig. bloomer) ihren IQ viel stärker steigern konnten als Kinder aus der Kontrollgruppe. Interessant war, dass die IQ-Steigerungen bei den Kindern am stärksten waren, die ein besonders attraktives Äußeres hatten. Auffällig war weiterhin, dass der Charakter der so genannten „Aufblüher“ von den Lehrern positiver beurteilt wurde.

 



Ein weit verbreitetes Konstrukt ist “Dominanz”. “Mein Pferd, Hund, Katze, Papagei, … macht xyz weil es dominant ist”.  

 

Wer mehr lesen möchte zu Labels und Konstrukten, am Beispiel des Labels ‘Dominanz' bei Vögeln, dem kann ich einen Artikel von Susan Friedman empfehlen "The struggle for dominance" auf www.behaviorworks.org, freundlicherweise übersetzt von Gabrielle A. Zaugg veröffentlicht  bei www.clickermagazin.ch

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Das Streben nach Dominanz: Tatsache oder Fantasie
The Struggle for Dominance - German Tran
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Deshalb sollten wir immer darauf achten, ob wir Verhalten objektiv beschreiben oder in Wahrheit auf Konstrukte zurückgreifen.

 

Statt Labels zu verwenden, müssen wir also lernen, Verhalten ganz spezifisch zu beschreiben.

 

Um individuelles Verhalten zu verstehen und zu beeinflussen, bieten sich am besten die wissenschaftlichen Methoden der angewandten Verhaltensanalyse (Applied Behaviour Analysis) an.

Was ist Verhaltensanalyse?

Laut Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Verhaltensanalyse):

 

Die Verhaltensanalyse ist eine Wissenschaft, die sich mit dem Verhalten von Menschen und Tieren befasst. Dabei wird unter Verhalten sowohl das offene (von außen, d. h. von anderen) beobachtbare als auch das verdeckte (private) Verhalten (das nur die Person, die sich verhält, an sich beobachten kann) verstanden. Die Verhaltensanalyse versteht daher auch sprachliches Verhalten (verbales Verhalten) und innere Vorgänge wie das Denken und Fühlen als Verhalten. Die Verhaltensanalyse versucht, dieses Verhalten zu beschreiben, zu erklären, zu verstehen und vorauszusagen. Die wissenschaftstheoretische Grundlage der Verhaltensanalyse ist der Radikale Behaviorismus nach B.F. Skinner.

 

Was ist Verhalten?

Nach Paul Chance (1998) ist die Verhaltensanalyse die Untersuchung der funktionalen Relationen zwischen Verhalten und Umweltereignissen:

  • Ein Verhalten ist alles, was ein Mensch oder Tier tut und das (von anderen Menschen oder nur von dieser Person selbst) beobachtet werden kann.
  • Ein Umweltereignis ist jedes Ereignis in der Umwelt eines Organismus, das beobachtet werden kann.
  • Eine funktionale Relation ist die Tendenz eines Ereignisses, in regelhafter Art und Weise mit einem oder mehreren anderen Ereignissen zu variieren.

 

Wie analysiert man Verhalten? Mit Hilfe der Funktionellen Analyse

Es gibt niemals einfach nur Verhalten. Die kleinste Einheit der Verhaltensanalyse besteht aus:

A (Antecedent): Antezedent: Wenn A…

B (Behaviour) Verhalten: Falls B…

C (Consequence) Konsequenz: Dann C…

 

 

Mache deine ABCs

Beispiel:

A: Wenn meine Hand zum Kopf meines Pferdes greift

B: Falls das Pferd den Kopf mit geöffnetem Maul schnell zu meiner Hand bewegt

C: Dann ziehe ich meine Hand weg

Vorhersage: Die Häufigkeit der Kopfbewegung mit geöffnetem Maul in Richtung Hand (Label: “aggressiv”) nimmt zu.

Verhalten werden entsprechend der Konsequenzen selektiert. So kann man vorhersagen, ob Verhalten vermutlich in Zukunft häufiger gezeigt werden oder nicht.

 

Verhalten mit positiven Konsequenzen werden öfters wiederholt, solche mit negativen Konsequenzen werden weniger.

 

Versuche ein ABC mit Vorhersage bei diesem kurzen Video

Wie sieht dein ABC aus?

A: Wenn die Hand sich der Katze nähert 

B: Falls die Katze das Maul öffnet/beisst

C: Dann entfernt sich die Hand

 

Vorhersage: Die Katze wird öfter das Maul öffnen/beissen

Wie ändere ich ein Verhalten?

Die sieben Schritte der funktionellen Analyse und der Entwicklung eines Programmes um Verhalten zu ändern:

  1. Beobachte und beschreibe (spezifisch) das Zielverhalten
  2. Identifiziere die Konsequenzen die das Zielverhalten aufrechterhalten, steigern oder senken.
  3. Identifiziere die Antezendenz, welche das Zielverhalten auslösen
  4. Schreibe Schritte 1 bis 3 in ABC Folge
  5. Mache eine Vorhersage über das zukünftige Verhalten falls sich weder Antezedent noch Konsequenz ändert.
  6. Identifiziere neue Antezedenz und/oder Konsequenzen
  7. Bewerte die Resultate und ändere das Programm falls nötig

 

 

Der Begriff ‘Bühne’ steht hier für den hier den allgemeinen Hintergrund.

Ethische Hierarchie

Susan Friedman hat eine ethische Hierarchie entwickelt, die jeder Trainer beachten sollte, der ein Verhalten ändern möchte.  

 

Hierbei sollte die erste Wahl immer auf die Massnahme fallen, welche am positivsten und am wenigsten intrusiv ist. Die erste Wahl wäre demnach eine Abfrage, ob Massnahmen in Bereich Gesundheit, Ernährung und physische Umgebung das Verhalten ändern können. Falls das nicht ausreicht, dann sollte eine Änderung der Antezedens versucht werden. Die nächste Wahl wäre ein Programm das positive Verstärkung verwendet. 

Das sollte in den meisten Fällen bereits ausreichen um ein Verhalten erfolgreich zu ändern. Die nächste Abzweigung, wäre die differenzierte Verstärkung eines alternativen Verhaltens. Bevor wir diese Wahl treffen, sollten wir gut Nachdenken, da das Verfahren bereits weniger positiv und intrusiver ist als die vorherigen Ansätze. 

 

Die anderen Verfahren, Löschung, negative Verstärkung und negative Bestrafung, sind noch intrusiver und sollten sehr sorgfältig überdacht werden, bevor sie angewendet werden. Das größte Warnsignal und Blockade steht natürlich vor der Anwendung positiver Bestrafung.

 

Eine gute Beschreibung zu Susan Friedman’s ethischer Hierarchie findet ihr in ihrem Artikel

“What’s wrong with this picture? Effectiveness is not enough”  auf www.behaviorworks.org

 

Freundlicherweise übersetzt von Nicolle Pfaller auf www.happy-fellow.at

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Was stimmt nicht an diesem Bild? Effektivität ist nicht genug.
What's Wrong With This Picture - German
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Zusammenfassung

Wenn du ein Verhalten deines Pferdes ändern möchtest, dann beschreibe zuerst objektiv und spezifisch das Verhalten. Achte darauf keine Labels zu benutzen. Schreibe deine ABCs, beginnend mit dem Zielverhalten, danach Antezedenz und Konsequenzen und dann mach eine Vorhersage. Entwickle ein Programm zur Verhaltensänderung, das so positiv wie möglich und am wenigsten intrusiv ist. Kann mein Pferd ein anderes, akzeptables, Verhalten zeigen, das dieselbe Funktion erfüllt oder kann ich ihm ein neues Verhalten beibringen. Messe die Frequenz des Verhaltens, damit du weisst, ob die Häufigkeit tatsächlich abnimmt. Falls nicht, überdenke dein Programm. 

 

 

Es ist nicht die Aufgabe deines Pferdes sein Verhalten zu ändern, denn es erfüllt ja seinen Zweck für das Pferd. Es ist deine Aufgabe die Antezedenz und/oder die Konsequenzen zu ändern, damit das Problemverhalten irrelevant, ineffizient und ineffektiv wird.